Samstag, 24. Januar 2009
 
Irak: "The real beer garden feeling" PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Dieter Reinprecht-Hinsch   
Dienstag, 17. Juli 2007

Folter, Kinderarbeit und Frauenunterdrückung im Nordirak — Der Nordirak gilt gemeinhein als vergleichsweise friedliche und demokratische Region des von Krieg und Invasion zerrissenen Landes. Doch kommen die Segnungen des Westens nur einer kleinen Minderheit zugute.

Seit Jahrzehnten gehören die Kurden zu den am meisten unterdrückten Völkern des Mittleren Ostens. Jahrhunderte lang als Nomaden lebend, wurden sie nach dem Regime der Jungtürken, der türkischen Nationsbildung unter Kemal Atatürk und der imperialistischen Zerstückelung des ehemaligen Osmanischen Reichs, zu einem staatenlosen Volk. Kurdistan ist heute auf mehrere Staaten zersplittert.

Gehörte die Unterdrückung der Kurden im Irak offiziell zu einem der Gründe für die Kriege des Imperialismus - sowohl zu Beginn der 1990er Jahre, als auch 2003 - interessiert die Situation der Kurden in der Türkei den Westen nicht im geringsten. Die Türkei gehört ja schließlich zu den Verbündeten der USA.

Auch 2003 versprachen die USA den Kurden weit reichende Rechte bis hin zur Unabhängigkeit, um ihre Unterstützung für einen Krieg gegen den Irak zu gewinnen. Die Handlanger des Imperialismus, Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und Patriotische Union Kurdistans (PUK) folgten willig. Für die Bevölkerung des Nordirak, gleich ob kurdisch, turkmenisch oder arabisch, hat sich seit der Invasion aber wenig geändert - vor allem nichts zum Besseren.

Folter und Rechtlosigkeit

In einem Anfang Juli 2007 veröffentlichten Bericht kritisiert die in New York ansässige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) die "schlechte Behandlung" und "Folter" der Gefangenen in den kurdischen Gefängnissen im Nordirak. Der Bericht handelt von der Situation der Häftlinge in den Gefängnissen der kurdischen Regionalregierung (KRG), den nordirakischen Verbündeten des US-Imperialismus.

Für den Bericht wurden 158 Häftlinge in den Provinzen Erbil, Sulaimaniya und Duhok interviewt. Sie alle waren unter Aufsicht der lokalen Sicherheitskräfte, genannt Asayish, die den beiden größten Parteien PUK und KDP unterstellt ist.

Weiters wird kritisiert, dass viele Häftlinge ohne Anklage oder Verurteilung teilweise seit Monaten oder gar Jahren festgehalten werden. Selbst der Minister für Menschenrechte der KRG, Yousef Aziz, musste diesen Anklagen von HRW zustimmen. In der englischsprachigen Wochenzeitung The Kurdish Globe vom 10. Juli 2007 wird er zitiert: "Wir stimmen dem zu, dass es Verletzungen der Menschenrechte in den Asayish [Gefängnissen] gibt, genauso wie andere Formen der Folter". Ebenso würden laufend Menschen spurlos verschwinden. Aziz versucht aber zu beschwichtigen, dass "die Resultate (der Politik der KRG, Anm.d.A.) erst langfristig sichtbar werden".

Der Report von HRW beschränkt sich aber auf die Situation in den kurdischen Gefängnissen, die der KRG unterstellt sind. Die US-amerikanischen und irakischen Behörden verweigerten der Organisation Zugang zu den ihnen unterstellten Einrichtungen. Nach den Vorfällen in Abu-Ghraib wenig überraschend.

Steigende Kinderarbeit

Gleichzeitig mit der Einschränkung der Menschenrechte im Nordirak verschärft sich - entgegen allen Berichten in den westlichen, imperialistischen Medien - die soziale Situation in der Region. Größter Ausdruck dafür ist die steigende Armut, die vor allem in der Kinderarbeit sichtbar wird. The Kurdish Globe zitiert einen zehnjährigen Jungen aus der Stadt Duhok, der erklärt, wieso er arbeiten muss: "Sowohl mein Vater, als auch meine Mutter arbeiten, aber sie verdienen nicht genug zum Leben. Außerdem habe ich sechs Geschwister."

Die Kinderarbeit ist vor allem saisonbedingt - während der Sommermonate, wenn Ferien sind, ist sie am höchsten. Viele hören aber nach den Ferien nicht auf und müssen so ihre Schulausbildung beenden. Der Kurde Hoshyar Khalil stimmt dem zu: "Jeden Tag beginnen mehr und mehr Kinder zu arbeiten."

Die Kinder arbeiten vor allem an verkehrsreichen Kreuzungen und verkaufen Zigaretten, Zeitungen oder Kaugummis. Für bis zu 16 Stunden Arbeit erhalten sie einen lächerlichen Lohn, den sie zu Hause abliefern müssen.

Ein erschütterndes Beispiel ist Sirwan Jameel. Der Neunjährige muss bereits seit zwei Jahren jeden Sommer arbeiten. Sein Vater ist blind und die Mutter verdient ihr Geld als Putzkraft für mehrere wohlhabende Familien.

Er ist aber nur einer unter tausenden KinderabreiterInnen, die täglich auf den Straßen Südkurdistans stehen, krank von Abgasen, in ständiger Angst, in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden und ihre Schulbildung aufgeben müssen.

Gewalt gegen Frauen

Die Situation für Frauen hat sich im Nordirak seit dem Sturz Saddam Husseins ebenfalls rapide verschlechtert. War der Irak das wohl säkularste Land der Region, führte die Politik der USA zu einem Aufschwung des religiösen Fundamentalismus und einem de facto religiösen Bürgerkrieg. Zugleich bekam die diskriminierende islamische Rechtsordnung einen hohen Stellenwert in der neuen irakischen Rechtssprechung. Das Privatrecht im kurdischen Nordirak basiert weitgehend auf der islamischen Scharia.

Diese neue Situation führt zu einem Ansteigen von Ehrenmorden - Opfer sind vor allem Frauen. The Kurdish Globe erklärt: "Ehrenmorde werden für gewöhnlich von einem oder mehreren männlichen Familienmitgliedern, zumeist Brüder, Väter oder Cousins, gegen ein weibliches Familienmitglied, etwa Tochter, Schwester, Frau oder Cousine, begangen. Sie werden begangen da dem weiblichen Mitglied von der Familie vorgeworfen wird, ihre Ehre verletzt zu haben, das bedeute, dass sie eine wirkliche oder sexuelle Beziehung außerhalb der Institution der Ehe eingegangen ist, auch wenn dies gegen ihren Willen (dem Willen der Frau, die die Ehre der Familie verletzt haben soll, Anm.d.A.) geschah (etwa bei Vergewaltigung, Anm.d.A.) und selbst wenn der Täter ein Mitglied der Familie war“.

Frauen sind in der neuen Rechtsprechung weitgehend schlechter gestellt als die Männer, teilweise gar rechtlos. Menschenrechtsminister Yousif Muhammad Aziz, erklärte am 4. Juli 2007 im kurdischen Regionalparlament: "Ich stehe hier, um Ihnen von diesen täglich zunehmenden Verbrechen gegen Frauen zu erzählen und ich habe alle Minister, genauso wie das Parlament, vor diese Situation gewarnt, doch niemand wollte etwas dagegen tun." Er selbst hat bisher aber auch nichts dagegen getan.

Täglich findet man in kurdischen Zeitungen Berichte, dass Frauen keinen anderen Ausweg aus dieser Situation finden, als sich selbst zu verbrennen. Die Familien stellen dies dann aber als Unfall hin und werden rechtlich nicht verfolgt. Ein kurdischer Anwalt berichtet: "Wir hören oft, dass Brüder ihre Schwester versehentlich beim Säubern ihrer Waffe getötet haben, aber nach der Nachforschung der Polizei stellt sich immer heraus, dass er sie bewusst ermordete, also einen Ehrenmord beging“.

Auch Fälle wie jener der 17-jährigen Duasa, die aufgrund einer Liebesbeziehung mit einem arabischen Mann einer anderen Religion zu Tode gesteinigt wurde, stehen auf der Tagesordnung. Aus demselben Grund wurde auch die 20-jährige Banaz Mahmud von ihrem Vater und dem in England lebenden Onkel ermordet.

Eröffnung des deutschen Biergartens in Erbil

Dies ist also nun die Situation im angeblich befreiten Südkurdistan. Die imperialistischen Medien, die sich von den Meldungen über das Wirtschaftswachstum im kurdischen Nordirak überschlagen, leugnen die wirkliche Lage nach der imperialistischen Invasion 2003.

Auch der österreichische Imperialismus ist hier im Vormarsch. Die Austrian Airlines fliegen nun viermal wöchentlich nach Erbil in Südkurdistan - als erste Fluglinie der Welt nimmt sie also Linienflüge in den Irak auf. Die OMV ist führend in der Ausbeutung des Erdgases in der Region. Der Imperialismus hat also was er wollte - die Bevölkerung dafür nichts als Not und Elend.

Der unterdrückten und Not leidenden Bevölkerung des Irak und Kurdistans wird wohl auch der kürzlich in der Zeitung The Kurdish Globe beworbene "1. Deutsche Biergarten in Kurdistan" Abhilfe schaffen. Während die imperialistischen Agenten nun Biergartenatmosphäre in Kurdistan genießen können (in der Werbung heißt es: „Enjoy the real beer garden feeling!“ und jeden Dienstag "all-you-can-eat" schlemmt, hungert das Volk vor der Tür - und lechzt nach Befreiung!



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